Geschickt eingefädelt - Nachhaltige Auslandspraktika für angehende Maßschneiderinnen

Die gemeinnützige Unternehmensgesellschaft CorEdu setzt sich für faire, inspirierende und wirkungsvolle Berufsbildung ein, die Horizonte erweitert, Talente fördert und einen Austausch über Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Wie dieser Austausch zwischen zwei europäischen Ländern nachhaltiger und ganzheitlich gestaltet werden kann, erzählen wir anhand der Geschichte, die die drei angehenden Maßschneiderinnen Kyra Schneider, Lisanne Hehl und Julia Ertelt in diesem Jahr erlebt haben. Alle drei absolvieren ihre Ausbildung zur Maßschneiderin kombiniert mit einem Modedesign-Studium in Leipzig und haben 2023 im Rahmen dieser Ausbildung drei Monate in Vicenza, Italien, verbracht. Und wir durften sie auf dieser Reise filmisch begleiten!

Gezielte Vorbereitung ist Teil des nachhaltigen Konzepts

Persönlich kennengelernt haben wir Eszter Csepe-Bannert, die Geschäftsführerin von CorEdu im Februar 2023, als wir nach Leipzig gereist sind, um den Vorbereitungsworkshop zu den Auslandspraktika zu filmen. In diesem Workshop ging es ihr und Kerstin Specht, die als Ingenieurin für Bekleidungstechnik die Werkstatt bei CorEdu leitet, darum, das Vorwissen der drei Auszubildenden zum Thema Nachhaltigkeit einzuschätzen und sie für den Aufenthalt in Vicenza zu sensibilisieren. Es war verblüffend für uns zu sehen, auf welchem Niveau die drei jungen Frauen über ökologische, ökonomische und soziale Fragestellungen diskutierten. Etwa über Slow Fashion verglichen mit Fast Fashion, Produktionsketten, weltweite Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltigere Zukunft und vieles mehr tauschten sie sich angeregt aus. Wussten Sie, dass das Leder für unsere Schuhe nicht von den Tieren, die wir für die Nahrung schlachten, stammt? Wir wussten es nicht….

Für uns wurde bereits bei diesem ersten Treffen klar, wie wichtig ein solcher Vorbereitungsworkshop ist, wenn man individuelle Ziele mit den europäischen Zielen des Erasmus+-Programms verknüpfen möchte.

Eszter Csepe-Bannert und Kerstin Specht vor ihrer Präsentation auf dem Workshop

Angeregte Diskussionen während des Vorbereitungsworkshops

Maßschneiderei versus Fast Fashion

Immer wieder fiel auch die Aussage, dass Maßschneiderei an sich natürlich sehr nachhaltig ist, weil Stoffe zum Teil mehrfach verwendet, ressourcensparend zugeschnitten und vor Ort produziert werden. In Deutschland sind diese Maßschneidereien als Ausbildungsbetriebe sehr rar geworden, weshalb im deutschen Bildungssystem zwischen Theorie und Praxis unterschieden wird. In Italien hingegen suchen sich die Auszubildenden direkt nach der Schule eine Maßschneiderei, in der sie fest angestellt werden und das Handwerk aus erster Hand von A bis Z erlernen. Die Auszubildenden werden als Zugewinn gesehen, um das Handwerk zukunftsfähig zu machen und weiterzugeben. Also, worauf warten? Auf nach Vicenza!

Das Praktikum in Vicenza

Im Juni 2023 konnten wir gemeinsam mit Eszter Csepe-Bannert und Kerstin Specht die drei Auszubildenden in Italien besuchen, wo sie zu dem Zeitpunkt schon seit mehreren Wochen gemeinsam wohnten und in unterschiedlichen Maßschneiderateliers ihr Praktikum absolvierten. Vermittelt hatte ihnen dieses Praktikum Marta Peruzzo und ihre Kolleginnen und Kollegen von EuroCultura, die seit über 25 Jahren Auslandsaufenthalte mit Erasmus+ durchführen und langjähriger Partner von CorEdu sind. Die drei jungen Leipzigerinnen arbeiteten in sehr unterschiedlichen Arbeitsumfeldern, von kleinen Werkstätten in einer Eins-zu-Eins-Situation mit den Maßschneiderinnen bis hin zu kleinen Betrieben mit mehreren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Ihre Aufgaben konzentrierten sich auf echte Handarbeit und waren sehr mannigfaltig: Stoff zuschneiden, Nähte schließen, Heften, Änderungen vornehmen bis hin zum Pailletten annähen. Das Wiederverwenden von Stoffen, das Schneidern von Einzelstücken nach Maß, die Feinheiten des Handwerks – alle diese Fähigkeiten waren Neuland für Kyra, Lisanne und Julia. Alle drei berichten, dass sie ihre Fingerfertigkeiten verbessern konnten und einen anderen Blick für ihr Handwerk entwickelt haben. Zudem kannten sie aus Deutschland diese Ausbildungssituation vor Ort in einer Werkstatt nicht, da es hier kaum noch Maßschneidereien gibt, weshalb die Ausbildung an der Berufsschule erfolgt. In Italien konnten sie erleben, wieviel Wertschätzung ihre Rolle in der Werkstatt erfuhr und wie wichtig Maßschneiderei für einen nachhaltigen Umgang mit Bekleidung ist.

Aufnahme während unserer Dreharbeiten

Die historische Innenstadt von Vicenza

Die Wirkung von Erasmus+

Auch für uns war selten so offensichtlich, auf wie vielen Ebenen Erasmus+ ein großartiges Bildungsprogramm ist. Neben den neu erlernten beruflichen Skills haben die Leipzigerinnen Italienisch gelernt, kulinarische Erfahrungen gemacht und die historischen Städte Verona, Venedig und Vicenza erobert. Besonders aber haben die Augen der drei geleuchtet, wenn sie uns von Herausforderungen berichtet haben, die das Verlassen der Heimat für mehrere Monate mit sich bringt. Beispielsweise die Wohnungssuche gestaltete sich extrem schwierig, aber gerade das Bewältigen solcher Hindernisse, das Nicht-Aufgeben, das Weitermachen trotz Rückschlägen hat die drei Frauen wachsen lassen.

Wenn ein junger Mensch sich nach dem Auslandsaufenthalt vorstellen kann, diesen zu wiederholen, selbst eine Maßschneiderei zu leiten oder als Chefin ihren Angestellten unbedingt Kaffeepausen zu verordnen wie es die italienische Chefin getan hat, dann ist die Wirkung wohl unbestritten.

Abschlussworkshop in Leipzig

Auch beim Abschlussworkshop im Anschluss an das Praktikum in Leipzig waren diese Eindrücke noch sehr lebendig. Hatten die drei jungen Frauen beim Vorbereitungsworkshop mit theoretischem Wissen über nachhaltige Stoffe, Materialien und Verarbeitungsarten geglänzt – inzwischen hatten sie gelernt, wie nachhaltig der Beruf der Maßschneiderin ist. Mit Stoffen sorgfältig umgehen, abgelegte Kleidung wieder verwerten, Ressourcen nicht verschwenden – diese Prinzipien haben sich bei ihnen eingebrannt. Auch wenn die Tätigkeiten vielleicht zum Teil eintönig oder anstrengend waren, wie stundenlang Pailletten annähen, so wissen sie doch, wofür sie es getan haben, wenn das einzigartige Haute-Couture-Kleid dann in Rom auf dem Catwalk vorgeführt wird und über 1000 Pailletten im Licht funkeln.

Schneiderprobe bei dem Abschlussworkshop

Fazit

Zusätzlich zum Workshop steht auch die sorgfältige Nachbereitung der Auslandsaufenthalte für den allumfassenden Aspekt der Nachhaltigkeit, nachzulesen in dem Interview, das Eszter Csepe-Bannert mit Kerstin Specht über die Sicht einer Ausbilderin auf das Praktikum geführt hat. Zusätzlicher Wissenstransfer erfolgt durch ein schriftliches Konzeptgemäß EQAVET, der Europäischen Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, welches die einzelnen Schritte des Projekts verdeutlicht, Erfolge darstellt und zum nachahmen aufruft. Eszter Csepe-Bannert und allen Mitwirkenden an diesem vorbildlichen Projekt gilt unser herzlicher Dank!