Den eigenen „Weinhorizont“ erweitern - In Franken haben Absolventinnen und Absolventen einer Weiterbildung für Weinbau und Önologie die Möglichkeit, über ein Erasmus+ Praktikum Auslandserfahrung zu sammeln

Seit 2005 führt die Staatliche Fach- und Technikerschule für Agrarwirtschaft im fränkischen Veitshöchheim Erasmus+- Mobilitätsprojekte im Fach Weinbau und Önologie (Lehre vom Wein und Weinbau) durch. Die Maßnahmen finden im Rahmen einer staatlich geprüften Weiterbildung statt und zeichnen sich durch hohe Qualität in Management und Kompentenzvermittlung aus. Die Teilnehmenden erhalten die Möglichkeit, für sieben bis acht Wochen mit Erasmus+ Auslandserfahrung in europäischen Weinbauregionen zu sammeln.

 

„Weinkompetenz ist heute international“, sagt Georg Baetz, Leiter des Instituts für Weinbau und Önologie an der Fachschule und Projektkoordinator für Erasmus+. So kennt die Kundschaft neben regionalen Marken auch Weine aus Chile, Australien und Süditalien. „Da müssen unsere Winzer mithalten können“, unterstreicht Baetz. Eine der ersten Botschaften, die er den Studierenden an der Fachschule mit auf den Weg gibt, ist: in der Vita mindestens einmal zum Arbeiten in der alten und neuen Welt gewesen zu sein – alleine schon, um den eigenen „Weinhorizont“ zu erweitern.

Dabei, so Baetz, gehe es vor allem um andere Denk- und Arbeitsweisen. Erst wer diese vor Ort erfahren habe, wisse um das Besondere einzelner Weinbauregionen und -kulturen. Von Vorteil sei, dass die Absolventinnen und Absolventen der Weiterbildung, die in Veitshöchheim ihren Techniker  bzw. ihre Technikerin erwerben, zuvor bereits eine Berufsausbildung gemacht und anschließend mindestens ein Jahr in der Praxis gearbeitet haben. Sie bringen daher sowohl gute Fachkenntnisse als auch ein wenig Lebenserfahrung mit. Die Dauer der Praktika, die in der Regel sieben bis acht Wochen dauern, ermöglicht es, dass sie gut in die jeweiligen Betriebe eingebunden werden können.

„Das Auslandspraktikum unterscheidet uns von anderen Fachschulen“, berichtet Georg Baetz. Rund 95 Prozent der Winzerinnen und Winzer nutzen die Chance, ins Ausland zu gehen. Das entspricht pro Jahr knapp 20 Studierenden, die sich bei einem der 50 Partnerbetriebe in klassischen Weinbauregionen wie Österreich und Südtirol, aber auch anderen Teilen Italiens sowie in Frankreich, Spanien und Ungarn bewerben.

Nachhaltige Vorteile für alle Beteiligten

Die Praktika sind rein betrieblich, wobei im Vorfeld eine Lernvereinbarung mit den ausländischen Partnern abgeschlossen wird. Diese definiert, wo und wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingebunden werden sollen. Mit Erfolg, denn Baetz ist überzeugt davon, dass die Studierenden während der Zeit im Ausland sowohl fachlich als auch in punkto Persönlichkeit enorm wachsen.

„Die Erasmus+- Projekte sind eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Während es für uns als Schule ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Mitbewerbern ist, fragen viele Betriebe mittlerweile gezielt nach Praktikanten aus Veitshöchheim. Sie wissen, dass diese selbstständig arbeiten und ein fundiertes Weinbauwissen mitbringen, und das nicht nur theoretisch.“

Den Studierenden dient die Auslandserfahrung als zusätzliche Kompetenz in ihrer beruflichen Entwicklung. Das können Annemarie Triebe und Pascal Legrand nur bestätigen. Beide nutzten im Spätsommer 2018 die Gelegenheit zum Auslandspraktikum: Legrand ging für acht Wochen ins italienische Chianti-Gebiet, Triebe für sieben Wochen auf ein Weingut in Niederösterreich.

Die 22-Jährige, die aus einer Winzerfamilie aus der Gegend von Zeitz in Sachsen-Anhalt (Saale-Unstrut) stammt und dort auch Ausbildung und Praxisjahr durchlief, will später einmal den Betrieb der Eltern übernehmen. Zuvor aber möchte sie noch möglichst viele Weinbauphilosophien kennenlernen und gerne auch andere Länder entdecken. „Wer über den Tellerrand schaut und sieht, wie andere es machen, kann für sich selbst eine Menge mitnehmen und in seinen eigenen Weg einbringen“, so Triebe.

In Österreich hat sie das Vertrauen, das die Gastfamilie ihr von der ersten Minute an entgegenbrachte, beeindruckt. Zudem konnte sie mit Techniken arbeiten, die sie bislang nur aus der Theorie kannte. Dabei waren ihr Erfahrung und bereits erworbene Kompetenzen eine wertvolle Hilfe. Triebe kann sich gut vorstellen, noch einmal für eine Zeit ins Ausland zu gehen. Die Ängste, die sie zuvor noch hatte, waren jedenfalls recht schnell verflogen.

Ganz anders die Geschichte von Pascal Legrand. Bevor er sich dem Weinbau zuwandte, hatte der heute 34-Jährige Duisburger bereits eine Ausbildung und seinen Techniker in Maschinenbau absolviert. Die Entscheidung für den Weinbau war eine Entscheidung aus Leidenschaft. Legrand macht seine Ausbildung an Nahe und Ahr und arbeitete anschließend in einer Genossenschaft im Weinort Mayschoss. 2017 verbrachte er drei Monate in Südafrika, um dort an der Weinlese teilzunehmen.

Sein Erasmus+- Auslandspraktikum in Italien im Rahmen der Weiterbildung führte ihn für acht Wochen auf ein Weingut unweit San Gimignano, knapp 40 Kilometer südlich von Florenz. Dort wurde vieles noch von Hand gemacht – für Legrand eine gute Gelegenheit, nahe an den Abläufen zu sein und neue Einblicke zu gewinnen. Gleich am zweiten Tag des Praktikums wurde er zudem in eine sehr verantwortliche Position genommen, weil die Kellermeisterin krank geworden war. „Ich durfte sehr viel in Eigenregie machen und konnte auch meine Ideen einbringen“, schwärmt er und lobt zugleich die offene Kommunikation, die er in der Toskana erlebte. Für Pascal Legrand ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass man wunderbare Dinge erfahren kann, wenn man sich für das Neue öffnet.

März 2019 | Manfred Kasper