Text von Christina Budde | September 2025
Mitreden, mitwirken, mitgestalten: Der Volkshochschulverband Baden-Württemberg und das Support Group Network (SGN) in Schweden haben sich in der ERASMUS+-Partnerschaft „Your voice matters“ über verschiedene Bildungsangebote zur politischen und sozialen Teilhabe von Zugewanderten ausgetauscht. Aus der Zusammenarbeit entstanden drei Workshop-Konzepte, die im Rahmen eines Austauschs an der VHS Stuttgart direkt praktisch erprobt wurden.
Gehör verschaffen
„Du schaffst das Abitur doch sowieso nicht“, mit diesen Worten beginnt die junge Frau mit Migrationshintergrund ihre Geschichte, „mit dem kulturellen Hintergrund.“ Die Gruppe, vor der sie im Storytelling-Workshop steht, hört ihr gebannt zu. Das habe ein Lehrer zu ihr gesagt, fährt die Erzählerin fort. Empörtes Raunen klingt aus der Gruppe der Zuhörer/innen, die Aufmerksamkeit ist der jungen Frau sicher. Und dann erzählt sie, wie sie aus Frustration und Wut über die diskriminierenden Vorurteile des Lehrers den Antrieb entwickelte, ihr Abitur zu machen – und es geschafft hat. „Challenge – Choice – Outcome“ oder auch „Herausforderung – Entscheidung – Ergebnis“, dieses erzählerische Muster in drei Schritten haben die Teilnehmenden des Austausches an der VHS in Stuttgart als Mittel kennengelernt, ihre Anliegen und Themen so zu vermitteln, dass sie die Adressat/innen auch erreichen.
Selbsthilfe fördern
„Wie können sich Zugewanderte für ihre Anliegen einsetzen?“ Dieses Thema habe, so berichtet Andrea Bernert-Bürkle, Leiterin der EU-Projekte im Volkshochschulverband Baden-Württemberg, eine lange Geschichte im Verband, ebenso wie der Kontakt zum Projektpartner SGN. So besuchte Bernert-Bürkle bereits 2017 zusammen mit Akteur/innen der Stuttgarter Stadt- und Bildungspolitik bei einem Erasmus+-Austausch in der Region Västra Götaland in Schweden ein großes Erstaufnahmecamp in einer ehemaligen Kaserne. „Da hatte eine Gruppe von Geflüchteten innerhalb von acht Wochen tolle Bildungsangebote im Camp auf die Beine gestellt, von Sprachen lernen bis hin zum Schwimmunterricht, auch Kurse für Kinder gab es, im Grunde ein ganzes Volkshochschulprogramm“, erinnert sich Bernert-Bürkle.
„Wie dachten sofort, das brauchen wir in Stuttgart auch und haben die Organisatoren des Angebots eingeladen“, berichtet Bernert-Bürkle. Deren Botschaft sei gewesen: Geflüchtete bräuchten weniger Hilfe von außen, sondern gute Rahmenbedingungen zur Selbsthilfe. Aus der Weiterentwicklung dieser Strategie erwuchs unter anderem das Erasmus+ Partnerschaftsprojekt „Your voice matters“. Der Projektpartner SGN wiederum wurde von eben den Akteur/innen gegründet, die auch das Bildungsprogramm im Flüchtlingscamp in Schweden auf die Beine gestellt hatten. „Die Grundidee ist, die Verantwortung für Integration selbst in die Hand zu nehmen“, bekräftigt Mosab Tato, der aus Syrien nach Deutschland gekommen ist. Tato ist Geschäftsführer des Support Group Network (SGN) in Stuttgart/Deutschland. Mit Gleichgesinnten, die wie er schnell die deutsche Sprache gelernt, eine Ausbildung und/oder Arbeit gefunden hatten, hatte auch er Unterstützung für andere Geflüchtete in Stuttgart organisiert. Nach Besuchen und Workshops in Schweden schloss sich die Stuttgarter Gruppe dem SGN an.
Eigeninitiative schulen
„Im Projekt haben wir uns zunächst jeweils vor Ort angesehen, was sich in dem Bereich politische Bildung für Zugewanderte entwickelt“, so Bernert-Bürkle. „Die drei Themen ‚Communication und Campaigning‘, ‚Storytelling‘, ‚Europäische Politik‘ haben wir aufgegriffen“, erklärt sie, „und dafür Workshop-Konzepte entwickelt und pilotiert.“ Im Piloten wurden die Konzepte mit Lernenden aus Stuttgart und Schweden erprobt. Teilnehmende aus Ulm und anderen Städten in Baden-Württemberg sollen folgen.
„Wie kann ich als Rollstuhlfahrerin barrierefrei mit der U-Bahn fahren?“ „Ich will, dass mehr für den Klimaschutz gemacht wird.“ Mit solchen konkreten persönlichen oder politischen Anliegen, berichtet Tato, arbeiteten die Teilnehmenden im Workshop „Communication und Campaigning“. Dabei übten sie, ihre Ziele überzeugend zu formulieren und herauszufinden, welche Personen oder Gruppen wichtig sind, um Veränderungen anzustoßen. „In den Modulen zur europäischen Politik waren viele überrascht, wie viele Beteiligungsmöglichkeiten es für junge Menschen in Europa tatsächlich gibt“, erinnert Tato. Der Workshop bereitete auf einen anschließenden Ausflug zum Europäischen Parlament nach Straßburg vor und stellte Instrumente der Beteiligung vor, etwa „Have your say“, ein Portal, in dem jede/r seine Meinung zu EU-Gesetzes-Initiativen einbringen kann. Insgesamt sei es ihnen wichtig gewesen, die Workshops möglichst aktivierend zu konzipieren, so Tato, mit „Energizern“ und Rollenspielen, „dass es auch viel Spaß macht!“ In einer „Assembly“, einer simulierten Stadtratssitzung als Rollenspiel hätten die Teilnehmenden zum Beispiel über den Umgang mit Grundrechten während der Coronazeit diskutiert, erzählt er.
Zugehörigkeit erleben
Ziel sei es auch gewesen, erklärt Bernert-Bürkle, die „Your voice matters“-Workshops in einem zweiten Schritt für zukünftige Mobilitäten von VHS-Lernenden nutzen zu können. Die Volkshochschulen beim Projektpartner in Schweden unterschieden sich von deutschen Volkshochschulen dahingehend, dass sie eher Jahreskurse anböten, etwa für Schulabschlüsse, so Bernert-Bürkle. Deshalb nehme man bei der Umsetzung in Baden-Württemberg auch die VHS-Teilnehmenden in den Blick, die Hauptschulabschlüsse nachholen würden. Aufgrund der Unterschiede bei Inhalten und Kurszeiten – in Deutschland finden viele Angebote abends statt – müsse man für Volkshochschul-Lernende sinnvolle Formate entwickeln, „mit denen wir die Menschen ins Ausland schicken können.“ Die bisherigen Teilnehmenden seien begeistert gewesen, berichten Bernert-Bürkle und Tato übereinstimmend. Eine wichtige Erfahrung für die Teilnehmenden sei auch gewesen, zu sehen, dass sie in den einzelnen europäischen Ländern ähnliche Erfahrungen machten. „Wer zu uns kommt und sieht, die Menschen hier haben dieselben Probleme, fühlt sich nicht so allein“, so Tato. Und weil innerhalb des Projektes Trainer/innen ausgebildet wurden, werden in Zukunft zehn junge Erwachsene mit Migrationshintergrund, fünf in Schweden, fünf in Baden-Württemberg, durch „Your Voice Matters“-Workshops führen.