Wie Integration nachhaltig gelingen kann - Erasmus+-Partnerschaft arbeitet mit Migrantinnen und Migranten

Bürgerschaftliches Engagement spielt bei der Integration von Migrantinnen und Migranten eine wichtige Rolle. In der Nachbarschaft und im Wohnumfeld entscheidet sich, ob und wie das Vorhaben gelingt. Entscheidend für den Erfolg sind dabei die Qualifizierung und Motivation der ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleiter, die immer öfter aus der so genannten Peer-Group stammen. Genau hier setzt die „multidimensionale Ausbildung“ der Stuttgarter ifa-Akademie an.

Juli 2020, Manfred Kasper

„Unser Ziel war es, Menschen mit einer Migrations- oder Fluchtgeschichte an das Ehrenamt heranzuführen und sie für die Mentorenrolle zu qualifizieren“, beschreibt Dr. Martin Kilgus, Geschäftsleiter der Akademie, die Idee des Projekts. Er ergänzt: „Wir haben in Stuttgart mit rund 45 Prozent einen sehr hohen Zuwanderungsanteil. Innerhalb dieser Community besteht ein hohes Interesse, eigene Erfahrungen weiterzugeben und beispielsweise Geflüchtete zu betreuen.“ Vor diesem Hintergrund starteten Kilgus und sein Team 2017 die Strategische Partnerschaft „Multidimensionale Ausbildung ehrenamtlich tätiger Erwachsener zur Förderung der Integration“ (MAV) im Rahmen von Erasmus+. Diese bezog Institutionen aus England, Griechenland, Italien, Rumänien, der Türkei und Zypern ein und lief bis zum Jahr 2019. Eine große Herausforderung, zumal die Ausgangskonstellationen in den beteiligten Ländern sehr unterschiedlich waren.

Im Mittelpunkt stand daher zunächst ein intensiver Dialog. „Wir wollten von den Erfahrungen der anderen profitieren und neue Ansätze entwickeln – jeder für sich, aber auch gemeinsam“, unterstreicht Kilgus. Spannend sei dies vor allem mit den Partnern aus Griechenland, Italien und der Türkei gewesen, die als Erstaufnahmeländer vor besonderen Herausforderungen stehen. So gab es zwar unterschiedliche Sichtweisen und teils kontroverse Diskussionen, der Austausch sei aber immer konstruktiv gewesen. Im Fokus standen sowohl Verständnisfragen als auch die Suche nach geeigneten technischen Formaten, beispielsweise zum Thema e-Learning.

Das Projekt entwickelte und erprobte ein umfassendes Lernpaket, das in den Sprachen aller Partnerinstitutionen verfügbar ist und über eine zentrale Lernplattform abgerufen werden kann: vom Handbuch für Trainer und Lehrkräfte über ein Toolkit für Kommunikation für die Erwachsenenbildung bis zum Ausbildungskurs für Ehrenamtliche. Einbezogen waren dabei auch Entscheidungsträger aus der schulischen und beruflichen Bildung sowie politisch Verantwortliche aus dem Bereich Erwachsenenbildung.

Wachsende Nachfrage

Die Wirkung ist nachhaltig, denn die Ergebnisse des Projekts können über dessen Laufzeit hinaus in der gesamten Europäischen Union genutzt werden. Die Zahl der Zugriffe auf die Plattform ist mittlerweile auf über 4.000 angewachsen. Auch der Zuspruch zu den Kursen für Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler in Stuttgart hat sich erhöht. Das wiederum hat auch mit der Attraktivität der Angebote zu tun.

Farah Alhamwi, die aus Syrien stammt und bereits seit 2003 in Deutschland lebt, arbeitet seit Jahren mit syrischen Kindern, Jugendlichen und Familien. Sie konnte ihren Horizont durch die Teilnahme an der Mentorenausbildung enorm erweitern. Die 38-Jährige unterstreicht: „Ich habe sowohl politische Zusammenhänge als auch neue Ideen und Herangehensweisen für meine Arbeit kennengelernt. Das hilft mir in meiner Rolle als Mentorin, denn viele Menschen müssen erst einmal lernen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Das ist letztlich auch eine Frage des kulturellen Hintergrunds“. Daher ist es für Alhamwi wichtig, ihr Wissen und das methodische Know-how innerhalb der Peer-Group weiterzugeben, um die neu nach Deutschland Zugewanderten in ihrer beruflichen und sozialen Integration zu unterstützen. 

Wichtig ist das Ankommen

Wie Alhamwi kennt auch die Deutsch-Französin Madeleine Bianchi das Problem, in einer fremden Gesellschaft anzukommen. Sie hat jahrelang in der Wirtschaft gearbeitet und ist aktuell als Sprach- und Integrationsmittlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig. „Die Menschen, die zu uns kommen, bringen sehr vieles mit“, erläutert Bianchi. Sie fügt hinzu: „Vertrauen in das System und die eigene Persönlichkeit sind elementar, um den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden, gerade für Geflüchtete. Wenn diese hierherkommen, haben sie meist jedoch ihren Status und den Glauben an sich und die eigenen Stärken verloren. Mir geht es darum, sie durch gezieltes Mentoring in ihrem Ankommen zu unterstützen.“ Die Ausbildung habe ihr diesbezüglich einen Methodenkoffer an die Hand gegeben, den sie in ihrer Arbeit einsetzen kann, um dies zu realisieren.

Ayse Özbabacan begrüßt das. Die Integrationsbeauftragte der Stadt Stuttgart ist zurecht ein wenig stolz auf die Arbeit der letzten Jahre und sieht in dem MAV-Projekt ein gelungenes Beispiel für die nachhaltigen und erfolgreichen Strategien in diesem Bereich. Stuttgart sei eine der ersten Kommunen bundesweit gewesen, die ein Integrationskonzept entwickelt haben, das von vielen deutschen, aber auch europäischen Städten aufgegriffen wurde. Bis heute gelte die Stadt ein Stück weit als Vorreiter, wenn es um die Qualität der Integrationsarbeit gehe. Das sei ein guter Nährboden für Projekte wie MAV. Von deren nachhaltiger Wirkung ist Özbabacan überzeugt, denn Menschen, die ehrenamtliche Integrationsarbeit leisteten, bräuchten auch entsprechende Anreize – zum Beispiel durch derartige Qualifizierungsmaßnahmen und ein gezieltes Mentoring.