Abschlag zu einem besseren Leben - Wie Sport jugendlichen Straftätern in Europa Perspektiven geben kann

Einmal monatlich gehen Trainer und Trainerinnen des Sportvereins BSV Wassenberg ins Gefängnis. Mit jugendlichen Straftätern trainieren sie in der JVA Heinsberg Soft- und Baseball. Was das mit Bildungschancen zu tun hat? Eine Menge! Wer lernt, eigene Fähigkeiten zu entdecken, diese weiter zu entwickeln und gezielt für ein Team einzusetzen, hat gute Voraussetzungen, nach seiner Entlassung in einem positiven sozialen Umfeld anzuknüpfen. Ein wichtiges Ziel von Erasmus+: gesellschaftliche Teilhabe von Menschen in prekären sozialen Situationen fördern. Der BSV Wassenberg hat die Chancen mit Erasmus+ genutzt und sich mit dem Projekt STEPS europaweit vernetzt.

Text: Julia Göhring | Juli 2021

Klack. Die Tür öffnet sich. Peter Dohmen, Vorsitzender des BSV Wassenberg, Trainerin Alexandra Nowack-Dittmer und ihre Team-Kolleginnen und -Kollegen zeigen ihre Ausweise vor und treten ein. Klack. Die Tür schließt sich wieder und wird hinter ihnen versperrt. Sie stehen jetzt im Inneren der Gefängnismauern der JVA Heinsberg. Im Gepäck: Handschuhe, Bälle - und Baseballschläger. Gleich werden jugendliche Straftäter zwischen 14 und 24 Jahren diese in ihren Händen halten, nicht etwa als Waffe, sondern im Base- und Softball-Training. Die Idee, mit jugendlichen Häftlingen zu trainieren, sei zufällig entstanden, berichtet Dohmen. „Bei einem Feierabendbier“ habe sich der Kontakt zu einem Sportbeamten der JVA, Leif Herfs, ergeben. Schnell war eine Zusammenarbeit vereinbart. 

Sportbeamte Leif Herfs, (2. v. r.) und der Vorsitzende der BSV Wassenberg, Peter Dohmen (re.), erläutern den Projektpartnern die Einrichtungen der JVA Heinsberg. (© Alexandra Nowack-Dittmer)

Konzentration stärken und Teamwork lernen

„Anfangs war ich sehr skeptisch“, erzählt Trainerin Nowack-Dittmer, „ob das sicher ist. Ich bin Mutter, habe kleine Kinder, die Häftlinge kommen ja auch irgendwann wieder raus, so dachte ich.“ „Wer hier einsitzt, hat ernste Straftaten begangen“, stellt auch Sportbeamte Herfs klar. Für das Training wurden daher Häftlinge ausgewählt, die sich durch gutes Benehmen ausgezeichnet hätten. „Die wissen, dass das zusätzliche Sportangebot nicht selbstverständlich ist“ und die Dankbarkeit sei groß, führt er aus. 

JVA-Häftlinge (grüne Trikots) zeigen im Wettkampf, was sie gelernt haben. (© Alexandra Nowack-Dittmer)

 

 „Wir hatten einen zwölf Meter langen Schlagkäfig und eine Ballwurfmaschine dabei beim ersten Training“, erinnert sich Dohmen. „Schlagen, Fangen, Werfen, Laufen, Sprinten – Baseball ist technisch sehr anspruchsvoll“, erklärt er. Auch Nowack-Dittmer betont, „man muss sich unheimlich konzentrieren, immer auf die anderen achten, im Team zusammenarbeiten, braucht Fitness und Köpfchen.“

Training mit dem Sportverein wirkt positiv auf mehreren Ebenen

Was für Außenstehende zunächst unwahrscheinlich klingt: Keines der Vereinsmitglieder hat bislang negative Erfahrungen gemacht. „Unsere etwaigen Sorgen haben sich schnell zerschlagen“, erzählt Dohmen, „die Jugendlichen sind uns eher mit Neugier, aber auch mit Fragezeichen begegnet, was wir wohl von ihnen wollen.“ 

Die Welt in einer JVA sei normalerweise ein „geschlossener Kosmos“, erklärt er, mit wenig Kontakt zum Leben außerhalb. Dass „Leute von draußen“ mit ihnen zusammenarbeiten wollen, bedeute den jungen Straftäter etwas. Für viele andere sozial benachteiligte Gruppen gäbe es Projekte, aber „um die kümmert sich eigentlich kaum jemand.“ Dabei könne Sport gut für eine spätere Resozialisierung sein, wenn nachhaltiges Interesse geweckt und der Sport auch nach der Entlassung in einem Verein ausgeübt werde. Denn dort könnten sich die jungen Männer in einem positiven sozialen Umfeld integrieren. Aktuell würden aber Trainings-Beschränkungen für Vereine wegen der Corona-Pandemie gelten, bedauert Dohmen, so dass diese Chance erst mit Abklingen der Pandemie wieder bestünde. 


Die Effekte des Sportes fingen aber bereits bei einer verbesserten Einstellung zum eigenen Körper an, „eine gesündere Lebensweise und positive Freizeitgestaltung werden gefördert“, erklärt Herfs. „Und der Sport dient auch der Integration“, ergänzt er, „denn in der JVA prallen Menschen sehr vieler verschiedener Kulturen und Sprachen aufeinander.“ Ihr gemeinsames Softball-Team aber, die „Lago Lions“, hat mittlerweile in zwei Turnieren bestanden, die der BSV Wassenberg mit Vereinen von außerhalb organisiert hatte.

Bei ihrem Besuch in der JVA Heinsberg konnten die Projektpartner auch selbst zu Ball und Handschuh greifen. (© Alexandra Nowack-Dittmer)

 

Ein Einblick in die Hafträume der JVA Heinsberg gehörte für die Projektpartner zum Besuchsprogramm. (© Alexandra Nowack-Dittmer)

 

Das Ziel des Erasmus+-Projekts STEPS war, diesen positiven Ansatz auf andere europäische Länder zu übertragen. Dohmen konnte seinen Arbeitgeber, die Gesellschaft zur Förderung der Weiterbildung im Handwerk, dafür gewinnen, als Projekt koordinierende Organisation einzusteigen. Von 2018 bis 2020 trafen sich Vertreter/innen aus Österreich, Italien, Griechenland und der Türkei zum Austausch. Gemeinsam war den beteiligten Organisationen, dass sie im Bereich der Bildung für sozial benachteiligte Menschen wirken. So entstanden auch Kontakte zu anderen Justizvollzugsanstalten. Bei einem der Projekttreffen besuchten die Partner sogar ein Training in der JVA Heinsberg – und waren begeistert.

Das Konzept wirkt europaweit

Für Dohmen zeigte sich schnell: „Es gibt einen ganz gewaltigen Bedarf. In vielen Ländern scheint es noch nicht einmal von den JVAs organisierten Sport zu geben.“ Thomas Vondrak vom österreichischen Partner „Club Life Long Learning“ beschreibt es so: „In einer JVA kann man alles Mögliche bekommen, Handys, Drogen, Verpflegung, aber etwas tun, was einen sinnvollen Ausgleich zum Knastalltag bringt, kann man nicht.“ Inhaftierte hätten nun einmal keine Lobby, erklärt er. Während des Projekttreffens in Innsbruck erfuhren die Projektpartner, dass ein JVA-Beamter der Justizanstalt Innsbruck dort mit gebrauchten Mountainbikes Bergtouren für jugendliche Inhaftierte organisiert hatte. „Ein 15jähriger, zum Beispiel marokkanischer Herkunft, der war wahrscheinlich noch nie oben, das war bislang nicht in seiner Tagesplanung, und jetzt auf einmal: frische Luft, nicht zu heiß – das Gefühl von Freiheit. Wer weiß? Vielleicht kommt er auf die Idee, Bergführer zu werden“, so Vondrak.

Auch Herfs, der die Akten der jugendlichen Straftäter in der JVA Heinsberg kennt, weiß, dass vielen von ihnen bislang eine positive Perspektive in ihrem Leben fehlte und vermutet: „Mit deren Geschichte wären wohl auch Sie und ich straffällig geworden.“ Und so hoffen Dohmen, Nowack-Dittmer und Herfs, dass die Corona-Lage es ihnen bald erlaubt, das monatliche Training wieder aufzunehmen.

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