„Finnland ist ein Tor, mit dem sich weitere Tore öffnen werden.“ - Jana Gren aus Nürnberg ist mit dem Erasmus+-Programm seit einigen Monaten in Finnland an der Folk Academy in Lärkkulla, Karjaa.

 

Ausbildung über europäische Grenzen hinweg ist auch für körperlich eingeschränkte Auszubildende möglich. Jana Gren ist eine von ihnen.

Text von Christina Budde | April 2022

Fröhliches Stimmenwirrwarr, Geschirr klappert, der Duft des Mittagessens weht aus der Küche hinüber, kurz stimmt jemand ein Lied an: Die Studierenden der Lärkkulla Academy im Süden Finnlands sitzen zusammen an einem langen Tisch im hellen Speisesaal, Jana Gren, 23, aus Nürnberg mittendrin. Die musikbegeisterte und -begabte junge Frau ist mit Erasmus+ für mehrere Monate nach Finnland gekommen, um sich beruflich weiterzubilden. An der Berufsfachschule für Musik bbs Nürnberg hat sie die Ausbildung zur staatlich geprüften Ensembleleiterin mit pädagogischer Zusatzausbildung erfolgreich abgeschlossen, nun soll es weitergehen – und am liebsten irgendwann an der Hochschule in ein Kompositionsstudium münden.

Jana ist ein lebendiger junger Mensch. Nichts unterscheidet sie von ihren Mitstudierenden bis auf eine Sache: Jana kann nicht sehen. Das hinderte sie an nichts. Auch nicht daran, sich auf den langen Weg nach Finnland zu machen und sich dort selbstständig zurecht zu finden. Auf die Begleitperson beim Flug, die das Erasmus+-Programm finanziert hätte, hat Jana verzichtet, denn ihre Eltern sind zusammen mit ihr nach Helsinki geflogen. Sie sind jedoch schon nach einer Nacht zurückgeflogen „nachdem sie gemerkt haben, dass ich hier gut aufgehoben bin“, wie Jana sagt. Im Alltag hat sie eine Assistenz, die sie bei Einkäufen begleitet, und ihr bei den Aufgaben wie Wäsche waschen hilft.

Schulleiter Juhani Jäntti kümmert sich wie ein väterlicher Begleiter um sie, sie hat wie alle Studierenden ein Zimmer mit Gemeinschaftsküche und Aufenthaltsraum auf dem Schulgelände. Sie lernt, lacht und feiert Partys wie die anderen 60 jungen Leute, geht in die obligatorische finnische Sauna und spaziert am Wochenende mit ihrer Assistenz durch die wunderschöne Natur der ländlichen Region mit ihrem weiten blauen Himmel und dem schilfbestandenen Meer. „Ich bin ein Naturkind“, so Jana.

Jana Gren mit dem Schuldirektor und Petra Ondrusek (© Petra Ondrusek).

Jana Gren in Helsinki (© Jana Gren).

Musik ist das verbindende Element

Sehende und nicht-sehende Menschen seien hier wie eine Familie, erzählt sie weiter. Sie besuchen den Rock-Pop-, Musical- oder Kompositionszweig der Schule, erhalten Einzel- und Ensembleunterricht im Singen, Tanzen oder Instrumentalspiel und setzen dies zusammen in Bands und Ensembles um. Der Fokus liegt dabei auf der praktischen Anwendung des Gelernten, das dann im Ensemble eingesetzt werden kann. Zurzeit ist Jana die einzige blinde Schülerin, doch insgesamt haben bereits zehn blinde oder sehbehinderte Menschen in Lärkkulla gelebt.

„Musik ist mein Licht“, sagt Jana. Täglich übt sie Klavierspielen auf dem Flügel in der Bibliothek, hat Gesangsunterricht. Ihre große Leidenschaft ist es zu komponieren. Die Noten der Musikstücke schreibt sie in Braille-Notenschrift und importiert diese anschließend in Schwarzschrift. Dabei sprudeln ihre musikalischen Ideen: Zwei Opern hat sie schon geschrieben, davon ein Liebesdrama in Neulatein.

Denn Jana hat außer der Leidenschaft für Musik noch eine Weitere für Sprachen. Acht Sprachen spricht sie, Finnisch hat sie sich selbst per YouTube beigebracht und konnte deshalb gleich in den Fortgeschrittenen-Sprachkurs in Lärkkula einsteigen.

Im Februar 2022 hat Jana Besuch aus Deutschland bekommen. Petra Ondrusek, die Schulleiterin der Berufsfachschule für blinde und sehbehinderte Menschen in Nürnberg, ist privat auf eigene Kosten mit einigen Kolleginnen und Freunden nach Finnland gereist, um sich das Ausbildungszentrum Lärkkula genauer anzuschauen. Sie hat für Jana einen Antrag auf diese Auslandsmobilität über Erasmus+ gestellt, nachdem sie Austausch-Geschichten von jungen Leuten überall in Europa gelesen hatte. Die Schule hat Jana selbst gefunden. „Eine kleine, feine Schule, genau die richtige für sie. Die musikalischen Angebote sind vielfältig, parallel dazu kann Finnisch gelernt werden und jeder, der will, wird bereitwillig in die Gemeinschaft aufgenommen“, sagt Petra Ondrusek.

„Musik ist ein starkes Ausdrucksmittel für blinde Menschen“, weiß Ondrusek aus ihrer Erfahrung als Schulleiterin. Viele können besonders gut hören und Stimmungen feinfühlig aufgreifen. Außerdem haben viele das absolute Gehör und ein ausgeprägtes musikalisches Gedächtnis. Die Erfahrung, sich musikalisch ausdrücken zu können, sei eine Bestärkung ihrer Stärken. „Die Schüler wachsen mit dieser Bestätigung“, so Ondrusek. Sehenden Musikern und Musikerinnen stünden sie in nichts nach. „Es ist für sie wichtig zu lernen, mit Sehenden zusammen zu musizieren, da Sehende nun mal überwiegend im Musikgeschäft tätig sind. Das ist bereichernd für beiden Seiten“, sagt die Schulleiterin. In Lärkkulla können Jana und ihre Mitstudierenden das täglich erleben.

Finnische Winterlandschaft (© Jana Gren)

„Jana ist superhappy hier“, hat Petra Ondrusek in Lärkkulla gesehen. Sie sei gut integriert und habe kein Heimweh. Die gelassene, entschleunigte Art der Finnen komme ihr entgegen. „Sie wünscht sich jetzt sogar, auf Dauer in Finnland zu leben und an der Hochschule für Musik in Tampere zu studieren“, hat Jana ihr berichtet. Und hinzugefügt, dass sie Finnland als großes Tor erlebt, mit dem sich weitere Tore öffnen werden.

Jana Grens Beispiel zeigt: Die Lebenserfüllung in einem musikalischen Beruf muss nicht an einer Sinneseinschränkung scheitern.