Brügge am Abend
© Sabine Freiberger
27.11.2025
Interview von Nicole von dem Bach
Vom 17.-20 November 2025 fand in Brügge, Belgien, die internationale Vernetzungsveranstaltung „Embrace Inclusion & Diversity in your Erasmus+ projects – E+ Inclusion support measures“ statt. TCA-Veranstaltungen bieten Projektträgern Möglichkeiten, sich über Ländergrenzen hinweg zu vernetzen und themenbezogen neue Impulse für ihre Arbeit mit dem Förderprogramm Erasmus+ zu bekommen. Als Teil der LTA Inclusion and Diversity adressierte dieses Event in Brügge u. a. Projektträger der Berufsbildung, die sich in ihrer Förderpraxis bereits mit der Erasmus+ Priorität Inklusion und Vielfalt beschäftigen und sich zu möglichen Maßnahmen austauschen möchten, um mit ihren europäischen Projekten aktiv zu dieser Priorität beizutragen. Sabine Freiberger vom Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Freising hat die Veranstaltung besucht und berichtet von ihrer Teilnahme.
„Denn es gibt immer für alles irgendeine Lösung, man muss nur kreativ sein“
(Zitat Sabine Freiberger, Veranstaltungsteilnehmerin)
Frau Freiberger, Sie haben an der internationalen Vernetzungsveranstaltung in Brügge teilgenommen. Worum ging es und wie hat die Veranstaltung Ihnen gefallen?
Bei der Veranstaltung, die Teil einer ganzen Veranstaltungsreihe ist, lag das Hauptaugenmerk auf den Maßnahmen zur Inklusionsunterstützung im Erasmus+ Programm. Das Inspirierende daran war für mich – übrigens wie eigentlich bei allen Netzwerkveranstaltungen rund um das Thema Erasmus+ –, dass man mit so vielen Menschen zusammenkommt, Ideen austauscht und danach motiviert zurückkehrt. Man möchte am liebsten alles Neue, was man mitgenommen hat, direkt an der eigenen Schule umsetzen.
Was hat Sie motiviert, sich zur Veranstaltung anzumelden? Was haben Sie sich von der Teilnahme erhofft?
Ich habe bisher noch nie an einer TCA-Veranstaltung teilgenommen, daher habe ich mich sehr gefreut, dass ich die Möglichkeit bekommen haben, diese zu besuchen. Generell ist Inklusion für mich ein absolutes Herzensthema und dieses dann noch im Kontext von Erasmus+ Projekten zu betrachten, bündelt genau das, was meine Aufgaben an unserer Schule neben dem Unterrichten sind. Die thematische Ausrichtung war also genau die richtige für mich, was dann letztlich auch meine Motivation war, mich für die Veranstaltung zu bewerben. Erhofft hatte ich mir, dass ich neues Wissen dazugewinnen und unser Netzwerk national wie international erweitern kann. Das hat definitiv geklappt, was mich sehr freut.
Sie sind Lehrkraft am Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Freising und sind neben dem Unterrichten auch als Ansprechpartnerin für Inklusion an Ihrer Schule tätig. Welche Maßnahmen haben Sie an Ihrer Schule implementiert, um Ihre Erasmus+ Projekte möglichst inklusiv zu gestalten?
Zentral ist für uns, dass die Erasmus+ Projekte an unserer Schule in allen Klassen beworben werden – egal, ob Berufsintegrationsklassen, Klassen zur Berufsvorbereitung oder Fachklassen, die eine duale Berufsausbildung absolvieren. Wir führen Gespräche mit Interessierten und deren Klassenleitungen und beziehen bei Minderjährigen ggf. auch die Eltern mit ein. Diese frühzeitigen und offenen Gespräche ermöglichen uns herauszufinden, welche Art von Unterstützung die Teilnehmenden benötigen, damit eine Mobilität stattfinden kann. So konnten wir beispielsweise einen Teilnehmer mit Autismus konkret unterstützen, indem wir seine morgendlichen Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln von der Gastfamilie zum Praktikumsbetrieb durch Taxifahrten ersetzt haben. Dadurch war es ihm möglich, eine Reizüberflutung zu umgehen und stressfrei am Praktikumsplatz anzukommen. Außerdem konnte für ihn in der Gastfamilie ein Einzelzimmer organisiert werden, um sich zurückziehen und die Erlebnisse des Tages besser verarbeiten zu können. Auf diese Weise wurde eine sehr erfolgreiche Umsetzung des Praktikums möglich. Der Teilnehmer dankte uns für die Unterstützung, was uns sehr berührt hat. Er habe zum ersten Mal in seinem Leben ein richtiges Gefühl für Gemeinschaft gespürt und zeigte sich im Nachgang viel offener, worüber wir uns für ihn sehr freuen.
Zudem entsenden wir unsere Teilnehmenden aktuell immer in der Gruppe mit Begleitung. Dieses Vorgehen ermöglicht es uns, auf die individuellen Bedarfe der Teilnehmenden ideal eingehen zu können und ein erfolgreiches Absolvieren der Auslandsaufenthalte sicherzustellen.
Die Veranstaltung thematisierte die Erasmus+ Priorität Inklusion und Vielfalt und wie dazugehörige Maßnahmen in Erasmus+ Projekten effektiv umgesetzt werden können. Welche Erkenntnisse haben Sie für Ihre tägliche Arbeit an Ihrer beruflichen Schule mitgenommen?
Insgesamt würde ich sagen, dass ich als Ansprechpartnerin für Inklusion an meiner Schule schon viel Vorwissen mitgebracht habe und nicht nur ich, sondern unser gesamtes Erasmus-Team an der Schule durch den bisherigen Besuch von Fortbildungen zum Thema Erasmus+ über die Unterstützungsmöglichkeiten bereits sehr gut Bescheid wusste. Dennoch konnte ich im Rahmen dieser Veranstaltung neue Erkenntnisse dazugewinnen, die uns bei unserer Arbeit helfen werden. So planen wir, in Zukunft auch Lernende einzeln zu entsenden. Hierzu habe ich in Brügge gelernt, dass man Teilnehmende mit geringeren Chancen auch zu einem Vorbereitenden Besuch mitnehmen kann, um so eine ideale Ausgangslage für den geplanten Aufenthalt zu schaffen. Das war eine tolle neue Erkenntnis für uns, die uns dazu ermutigt, wirklich jeder und jedem die Teilnahme an einer Mobilität zu ermöglichen, da alles irgendwie immer organisierbar ist.
Sie haben schon einiges an Erfahrung im Bereich Inklusion in der Berufsbildung. Gab es während der Veranstaltung dennoch Überraschendes oder echte Aha-Momente, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?
Ein ganz besonderer Moment war für mich der Besuch einer Schule in Brügge, die ausschließlich Schüler/-innen mit Autismus unterrichtet. Die Schule war ideal auf die Bedarfe der Lernenden ausgerichtet mit zahlreichen Rückzugsorten und einem sehr hohen Betreuungsschlüssel. Die Lernenden werden dort sehr empathisch begleitet, was laut Lehrkräften dazu führt, dass sie im Laufe der Schulzeit enorme Fortschritte machen und über sich selbst hinauswachsen. Das war sehr beeindruckend zu hören. Besonders berührend war in diesem Zusammenhang der Bericht eines Schülers, der von seiner Mobilität nach Finnland erzählte und wie er sich dadurch weiterentwickeln konnte. Insgesamt also einfach tolle Eindrücke, die ich an meine Schule mitnehme und versuche, für unsere Weiterentwicklung zu nutzen.
Ausgehend von den neuen Erkenntnissen, die Sie durch die Veranstaltungsteilnahme gewinnen konnten, welche weiteren Ziele haben Sie sich mit Blick auf Inklusion und Vielfalt im Rahmen Ihrer Erasmus+ Projekte für die Zukunft gesetzt?
Während des Aufenthaltes ist mir bewusst geworden, dass wir an der Auswahl unserer Zielländer noch arbeiten können. Aktuell entsenden wir nach Irland und nach Malta, weil Englisch dort Amtssprache ist. Das notwendige Sprachniveau können aber nicht alle Interessierten nachweisen, zudem haben viele Schüler/-innen trotz vorhandener Sprachkenntnisse Zweifel, ob sie in einem Land zurechtkommen, in dem eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird. Daher haben wir uns vorgenommen, nach Partnereinrichtungen in deutschsprachigen Ländern zu suchen, um damit einen weiteren, niedrigschwelligen Zugang für alle Interessierten zum Auslandspraktikum zu schaffen.
In Brügge haben wir ein gemeinsames Padlet gestaltet, um uns auszutauschen und auch im Nachgang miteinander in Kontakt bleiben zu können. Das möchte ich sehr gerne nutzen und den Austausch langfristig aufrechterhalten. Ich kann mir gut vorstellen, dass dadurch Möglichkeiten zum Job Shadowing für unsere Lehrkräfte oder unser Verwaltungspersonal an den Einrichtungen der anderen Veranstaltungsteilnehmenden entstehen. Wie sich in Brügge klar gezeigt hat, arbeiten wir alle mit einem Fokus auf Inklusion und wir als Schule erhoffen uns daher auch in Zukunft einen tollen Austausch mit den Kolleg/-innen aus anderen Ländern.
Darüber hinaus hat mich die Teilnahme dazu ermutigt, an unserer Vorgehensweise noch stärker festzuhalten, wirklich allen ein Auslandspraktikum zu ermöglichen. Mir ist es wichtig, dass wir uns das weiterhin zutrauen. Denn es gibt immer für alles irgendeine Lösung, man muss nur kreativ sein, die Bedingungen abklären und dann funktioniert das schon!
Das Thema Inklusion und Vielfalt ist eine von vier Prioritäten des Erasmus+-Programms. Ziel ist es, allen Menschen, die formal die Förderkriterien erfüllen, die Teilnahme am Erasmus+ Programm zu ermöglichen - egal, mit welchen Hindernissen sich sich konfrontiert sehen. Hier geht es zur Themenseite Inklusion und Vielfalt