Inklusives Danzig - Der Wertkreis Gütersloh entdeckt Polen

Auslandsaufenthalte sind für alle möglich. Wie das Gelingen kann, erzählt Martin Karpiel, der als Betreuer des Wertkreis Gütersloh mit fünf Menschen mit Handicap unterwegs war. Zu Besuch waren sie in der ZSS Gedansk II, einer inklusiven Schule im polnischen Danzig.

Text von Martin Karpiel | Juni 2022

Nach unserer Ankunft in Danzig und einer Verschnaufpause im Hotelzimmer wollten die Teilnehmenden als Erstes ans Meer. Dort wurden direkt die Schuhe ausgezogen und alle haben sich getraut mit den Füßen ins Wasser zu gehen. Beim anschließenden Spaziergang hat ein Teilnehmer gesagt, wie schön es doch ist, endlich echten Sandstrand zu spüren.

Ich weiß nicht, ob alle unsere Teilnehmenden schon mal das Meer gesehen haben, aber allein diese glücklichen Gesichter waren für mich schon die Reise wert.

Arbeitseinsatz in der Bäckerei

Unser Arbeitsalltag

In der Schule angekommen, haben unsere Teilnehmenden ihre Arbeitsaufgaben zugewiesen bekommen. Die Arbeitsaufteilung in der Schule war klar strukturiert.

Unsere einzige Teilnehmerin hospitierte bei einer Lehrerin im Unterricht vor Ort. Dort wurden Aktivitäten für die nächste Woche besprochen und organisiert. Auch Bürotätigkeiten gehörten zu ihrem Aufgaben.

Der Teilnehmer, der bei uns in der Bäckerei tätig ist, konnte sein Können unter Beweis stellen. Er hat zum Beispiel gemeinsam mit einer Schulklasse einen Rhabarberkuchen zubereitet, der im Anschluss im Kiosk verkauft wurde. Dabei wurde der Kuchen ohne maschinelle Hilfsmittel, wie Handrührgerät oder Thermomix, zubereitet. Ein anderes Mal gab es russischen Zupfkuchen. Die erforderlichen Mengen sorgten anfangs für Verwirrung, da für 30 Leute gebacken wurde. Aber alles klappte wie am Schnürchen und der Kuchen kam sehr gut an.

In der Zwischenzeit haben die anderen Teilnehmer ihre Arbeit draußen erledigt. Rasenmähen und die Pflege der Sportplätze gehörte zu ihren Aufgaben. Am ersten Tag befreite die Gruppe beispielsweise die Kanten der Tennisplätze vom Rasen.

In der zweiten Woche unterstützten die Teilnehmenden den Hausmeister beim Bau und der Lackierung von Möbeln. Die Teilnehmenden wurden an die Maschinen herangeführt. Sie schliffen Holzleisten für Tische ab und durften anschließend die Leisten zu einem Tisch zusammen hämmern. Alle dort hergestellten Möbelstücke bestehen aus Paletten, denn viele Dinge werden in der Schule wiederverwertet. Der Hausmeister erzählte uns, dass die Schüler und Schülerinnen vor Ort nur bei ihm mit elektrischen Geräten arbeiten dürften. Beim Technikunterricht in den Schulklassen verzichten die Lehrer auf maschinelles Werkzeug. Denn durch den Umgang mit Schraubendrehern und Hämmern werden die Gelenke beweglicher und die Muskulatur bleibt erhalten.

Tag im Kletterpark
(© Martin Karpiel)

Unsere Highlights

Ein besonderer Tag unseres Auslandspraktikums war das Sportevent in der Schule. Wir bekamen Sporttrikots, zogen uns um und es ging auch schon los. Wir wurden in fünf Gruppen aufgeteilt und jede und jeder bekam eine Punktekarte für verschiedene Disziplinen. In jeder Disziplin wurde verschiedene Kompetenzen geprüft, wie zum Beispiel Geschicklichkeit, Kraft und Schnelligkeit. Wir hatten alle sehr viel Spaß und die sprachliche Barriere zwischen unseren Teilnehmenden und den polnischen Schülerinnen und Schülern hat sehr schnell kein Hindernis mehr dargestellt.

Auch an einem der Wochenenden stand Sport auf dem Programm. Die Schule lud uns ein, an einem wichtigen Fußballspiel der Danziger Mannschaft teilzunehmen. Uns wurde erklärt, dass sich dort ein Projekt damit befasste, Menschen mit Handicap an vielseitigen sportlichen Aktivitäten heranzuführen. In dem Block, in dem wir saßen, waren sowohl Personen mit Handicap, die üblichen Zuschauerinnen und Zuschauer sowie geflüchtete Menschen aus der Ukraine mit ihren Kindern. Das zu sehen hat uns sehr berührt. Es war ein spannendes Spiel und in der letzten Minute schoss ein Stürmer der Danziger Mannschaft das 3:2. Da lagen wir uns alle in den Armen.

Da einige Teilnehmende im Vorfeld den Wunsch geäußert hatten, einen Kletterpark zu besuchen, setzten wir dies am anderen Wochenende um. Wir wurden von den Mitarbeitern in den Umgang mit Karabinern und Seilrollen eingewiesen. Nach einer kleinen Übungseinheit, teilten wir uns in zwei Gruppen auf, um Parcours unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade zu bestreiten. Alle Teilnehmenden hatten Respekt vor der Sache, was sie aber nicht davon abhielt, es zu versuchen. Sie erfuhren ihre eigenen Grenzen, sowohl physisch als auch psychisch. Am Ende stand nicht der abgebrochene Parcours im Vordergrund, sondern die Tatsache, es überhaupt probiert zu haben.

In unserer Zeit in Danzig waren wir immer wieder beeindruckt, wie viel Liebe die Lehrer und Lehrerinnen in ihre Arbeit stecken und das die Schule sogar als eine Art Jugendzentrum angesehen wird. An jedem Tag in der Woche kann man dort hinkommen und zum Beispiel die Sportplätze nutzen oder sich mit Freundinnen und Freunden treffen. Diese offene Art, die zeitgleich und das Kennenlernen von Jugendlichen mit und ohne Handicap ermöglicht, hat uns gut gefallen.

Einem unserer Betreuer, der Kinestheticstrainer ist, fielen Unterschiede im Umgang mit den zahlreichen Rollstuhlfahrern auf. Dabei ging es ihm vor allem um die Transfers, bei denen Menschen aus den Rollstühlen rausgehoben werden. Nach einem angeregten Gespräch zeigte unser Betreuer den polnischen Kolleginnen und Kollegen ein paar Bewegungen, mit denen das Heben weniger belastend für die Rücken der Pflegenden wurde. Die Tipps wurden dankend angenommen.

Gemeinsames Essen in der Schule (© Martin Karpiel)

Bei unserem letzten Gespräch mit dem polnischen Schuldirektor haben wir über die Vorteile von Erasmus+ und unserem Aufenthalt gesprochen. Das Ende des Lieds? Unser Gastgeber will nun ebenfalls einen Antrag stellen. Der Erfahrungsaustausch und die Möglichkeiten für die Schüler und Schülerinnen, andere Kulturen kennenzulernen und auch mal über den Tellerrand zu schauen, haben ihn sehr begeistert. Wir haben ihn nach Gütersloh eingeladen, um mit unserer Leitung zu sprechen und die Zusammenarbeit zu festigen.

Zum Abschluss wurden wir von dem polnischen Kollegium zu einem Essen eingeladen. Es gab selbst gemachte, polnische Spezialitäten und wir ließen die gemeinsame Zeit Revue passieren, tauschten uns über unsere Erfahrungen aus und schauten uns Bilder der letzten Wochen an. Dabei stand eines außer Frage, wir sind alle dankbar für diese Chance.

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