Gemeinsam eine Zukunft bauen - Wie das Erasmus+-Projekt MiTrust die Kompetenzen von Migrantinnen und Migranten stärken und für die Bauwirtschaft nutzbar machen will

Text von Manfred Kasper | März 2023

Die Zahl der Migrantinnen und Migranten in der Bauwirtschaft ist hoch. Laut Eurostat ist die Branche einer der zehn wichtigsten Beschäftigungssektoren für diese Zielgruppe in der Europäischen Union. Welche Qualifikationen braucht es, um geflüchteten Menschen die berufliche und private Integration in ihrer neuen Heimat zu erleichtern und zugleich einen Beitrag zur Lösung des Fachkräfteproblems zu leisten?

Genau an dieser Stelle setzt das Erasmus+-Projekt MiTrust an. Die vom Berufsförderungswerk der Bauindustrie NRW gGmbH (BFW NRW) in Zusammenarbeit mit Partnern aus Griechenland, Zypern, Deutschland und der Türkei realisierte Partnerschaft entwickelt ein innovatives digitales Tool, das die Migrantinnen und Migranten in der Bauwirtschaft der beteiligten Staaten unterstützen soll – vom Erwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse über die Vermittlung von Soft Skills bis zum richtigen Verhalten auf der Baustelle, beispielsweise in puncto Arbeitssicherheit. Sie unterstützt damit auch Tutorinnen und Tutoren sowie Ausbildende, Berufsbildungsanbieter und Bauunternehmen.

„Den Bedürfnissen der Geflüchteten gerecht zu werden, ist eine große Herausforderung für die Bauwirtschaft und für das Lehr- und Ausbildungspersonal in der beruflichen Bildung“, erklärt Ulrich Goos, der das BFW in Kerpen seit mehr als 20 Jahren leitet. Das Haus ist eines von drei Ausbildungszentren (ABZ) der nordrhein-westfälischen Bauindustrie, hier werden bis zu 350 Absolventinnen und Absolventen in Maßnahmen der Erwachsenenbildung und der Erstausbildung geschult. Damit ist das BFW das größte Zentrum dieser Art in Nordrhein-Westfalen und eine der größten Einrichtungen deutschlandweit. Die überbetriebliche Ausbildung umfasst elf gewerbliche Ausbildungsberufe, hinzu kommen Fort- und Weiterbildungsangebote, duale Studiengänge und Projekte wie beispielsweise MiTrust.

Ulrich Goos und Dr. Askim Bozkurt 

Impulse für die gesamte Branche

Das noch bis Herbst 2023 laufende Erasmus+-Projekt startete im November 2021. Sein Fokus liegt auf offenen Angeboten und Fernlerntools zur Verbesserung der Berufsaussichten von Menschen, die in ein EU-Land kommen und dort in den Arbeitsmarkt der Bauwirtschaft eintreten wollen. Inhaltlich geht es gleichermaßen darum, die Unterschiede im Ausbildungssystem der beteiligten Länder herauszuarbeiten, um konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die nicht nur den Migrantinnen und Migranten, sondern der gesamten heimischen Branche helfen.

Dr. Askim Bozkurt, Projektkoordinatorin für Erasmus+-Projekte beim BFW, hält die in MiTrust praktizierte internationale Vernetzung für einen sehr guten Weg, um der Bauwirtschaft Impulse zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen zu geben. Sie verweist darauf, dass das BFW in Sachen Internationalität auf eine lange Historie zurückblickt, bereits seit 2004 werden entsprechende Projekte durchgeführt. Bozkurt wörtlich:

„Wir sind national und international bestens vernetzt und wurden insbesondere für unsere Inklusionsprojekte mehrfach ausgezeichnet. Die Baubranche gehört für mich zu den Bereichen, in denen Inklusion am besten gelebt werden kann. Wenn es uns gelingt, Fachkräfte mit unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen sprachlich, interkulturell und fachlich zu qualifizieren, kann das enorm zur Zukunft der Branche beitragen.“ Das Thema begleitet Bozkurt schon lange, die BFW pflegt bereits seit mehr als 15 Jahren einen intensiven Austausch mit den griechischen und türkischen Partnern.

Baustellensituation

Arbeiter mit Migrationshintergrund

Von der Analyse zur umfassenden Lernplattform

Aktuell wird gerade das Herzstück des Projektes erarbeitet, wobei die Entwicklung der Inhalte für das Lernprogramm auf Basis einer zuvor angefertigten Analyse erfolgt, die spezifische Anforderungen für die jeweiligen Länder definiert. Der Prozess verläuft agil und bezieht Praktikantinnen und Praktikanten sowie Auszubildende mit Migrationshintergrund am ABZ Kerpen ein. Einer von ihnen ist Abdoulaye Bak, der aus Guinea stammt und seit dreieinhalb Jahren in Deutschland lebt. Er ist Schüler einer Berufsvorbereitungsklasse und unterstreicht: „Wenn wir nach Deutschland kommen, müssen wir die Regeln im Land kennen und wissen, wie die Dinge laufen. Die MiTrust-Plattform ist eine hervorragende Hilfe, um die Sprache zu lernen und viele Abläufe zu verstehen. Das gilt auch über die Situation auf der Baustelle hinaus.“

Um das avisierte Ziel zu erreichen, baut Bozkurt auch bei der Realisierung von MiTrust auf Inklusion. Sie betont: „Wir versuchen, alle Personengruppen einzubinden und Barrieren abzubauen, zum Beispiel indem wir mit Bildern und einfacher Sprache arbeiten und die Zugänge zum Portal niederschwellig gestalten. Die Kompetenzen der beteiligten Partner ergänzen sich diesbezüglich bestens, unsere Stärke ist die Partnerstruktur.“ So bringe der griechische Partner die notwendige Methodenkompetenz mit, andere Institutionen verfügten über langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Migrantinnen und Migranten oder Kenntnisse in der Qualitätssicherung und Öffentlichkeitsarbeit.

Wirkungsgrad des Erasmus+-Projekts steigerbar

Ende des Jahres soll die Plattform an den Start gehen, Ulrich Goos jedoch ist bereits jetzt vom Verlauf des Projekts begeistert, und das, obwohl die Treffen der Partner bislang coronabedingt meistens online stattfinden mussten. „Da entsteht ein tolles Angebot, auf das sich unsere Zielgruppe freuen kann und das sehr unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten bietet. Das reicht von der Schulung relevanter sozialer und sprachlicher Kompetenzen im Betrieb und in der Berufsschule bis zur Einweisung in Themen wie Arbeitssicherheit und Materialtechnik durch Unternehmen sowie Tutorinnen und Tutoren.“ Ein Pluspunkt sei zudem, dass die Plattform kontinuierlich weiterentwickelt werden könne, das Ganze sei ein sehr dynamischer Prozess. Letzteres hebt auch Kyriakos Periedis vom zypriotischen Partner Opinion hervor. Er sagt: „Perspektivisch halte ich es für erstrebenswert, neben Deutsch, Englisch, Griechisch und Türkisch auch andere Sprachversionen zu entwickeln und den Wirkungsgrad des Projektes noch weiter zu steigern. Optimal wäre es sicherlich, wenn wir das Thema europaweit abdecken könnten.“