Wärmende Ideen für das Miteinander in Europa - Was die VHS Selb aus Island, dem Land von Eis und Schnee, mitgebracht hat

Ein Theaterprojekt und Geschichtenerzählen - dies sind nur zwei der Ideen, die die Dozentinnen und Dozenten der VHS Selb von ihrer Reise nach Island mitgebracht haben. „VHS goes Europe“ heißt das Erasmus+ Mobilitätsprojekt, das es ihnen möglich machte, zu erfahren, wie Inklusion nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt wird.

19.01.2017, von Julia Göhring

Jetzt verstehen sie sich besser, sind miteinander warm geworden: Rosa aus Armenien, Samad aus Afghanistan und Patia aus Somalia haben ihre Geschichten erzählt und denen der anderen an der VHS Selb zugehört. Geschichten von Flucht und Vertreibung, von Angst und der Hoffnung, irgendwo ankommen zu können. Für viele sei dabei sogar der Knoten geplatzt, der es verhindert habe, dass die Jugendlichen in Ruhe lernen könnten, sagt Alexander Fischer, Dozent der VHS Selb im bayerischen Fichtelgebirge. Das Geschichtenerzählen ist dann noch weitergegangen und in einem Theaterprojekt gemündet. „Meine Freiheit – deine Freiheit“ heißt es und ist vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundesprogramm "Demokratie leben“ gefördert worden.

Theaterprojekt und Geschichtenerzählen waren nur zwei der Ideen, die die Dozentinnen und Dozenten der VHS Selb von ihrer Reise nach Island mitgebracht haben. „VHS goes Europe“ heißt das Projekt, das ihnen dies möglich machte. „Wir sind voller Schwung zurückgekommen und haben vieles gleich umgesetzt,“ erzählt Michaela Hermannsdörfer, Leiterin der Beruflichen Bildung an der VHS Selb. Ein respektvolles Miteinander der Kulturen und ein vorurteilsfreier Umgang in Europa und darüber hinaus sind ihr ein Herzensanliegen. Es sei deshalb eine Selbstverständlichkeit gewesen, sich für Erasmus+ zu bewerben. Hermannsdörfer hat schon vorher erfahren: Die europäischen Partnerschaften, die solche Förderprogramme anstreben, bestehen nicht nur auf dem Papier, sondern überdauern die Jahre.

Weshalb gerade Island?

Das Land von Eis und Schnee ist kalt und rau und insofern gar nicht so anders als das „Kleinsibirien von Bayern“, so wie man das Fichtelgebirge nennt, in dem die VHS Selb beheimatet ist. Doch sonst sei vieles anders, berichten die Dozenten Alexander Fischer und Rupert Rößler, die zum einwöchigen Austausch in Borgarnes, einer Kleinstadt auf dem Land gewesen sind. Die Menschen seien warmherzig, kontaktfreudig, auch gegenüber Unbekannten sofort offen und an ihnen interessiert. Vielleicht eine Folge des isländischen Bildungssystems, in dem die Theorie der Inklusion und Integration nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt wird. „Eingeschlossen“ werden hier viele, ob behinderte oder nichtbehinderte Kinder, langsam oder schnell Lernende im Schulsystem oder eben andere Kulturen. Das schlägt sich auch in den Methoden nieder, die das Miteinander betonen. Frontalunterricht gelte dort als altertümliche Herangehensweise, sagt Alexander Fischer. Die Lernenden erarbeiten fast alles in Gruppen. Lehrkräfte, Dozenten und Dozentinnen sind eher Coaches, die begleiten, anregen und motivieren.

Vieles gleich in Deutschland ausprobiert

Alexander Fischer und sein Kollege Rupert Rößler gestalten ihren VHS-Unterricht jetzt anders. „Wir setzen mehr auf Kooperation und Kommunikation untereinander“, sagt Fischer. Davon profitierten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die er in seinen Alphabetisierungskursen für Flüchtlinge und den Berufsvorbereitungskursen unterrichtet, auch sozial. Sie lernen, miteinander auszukommen, sind motivierter.

Die unterschiedliche internationale Zusammensetzung der Lernergruppen sei für die Lehrkräfte oft eine große Herausforderung, beschreibt Michaela Hermannsdörfer. Neben der unterschiedlichen Sozialisation brächten die Teilnehmenden auch ganz unterschiedliche Vorkenntnisse und Kompetenzen mit. Deshalb sei es wichtig, dass die Lehrkräfte die Möglichkeit zur Weiterbildung erhielten.

Besser verstehen, wie es den Lernenden geht

Nicht nur der Unterricht hat sich an der VHS Selb verändert. Fischer und sein Kollege können jetzt auch noch besser verstehen, wie es sich anfühlt, den ganzen Tag lang in einer fremden Sprache zu lernen. Denn der Unterricht im Intercultural Competence Center in Island, den sie besucht haben, fand komplett in Englisch statt. "Am Abend war ich ganz schön platt, obwohl ich Englisch ganz gut kann", sagt Fischer. Wie müsse es sich erst für die Flüchtlinge anfühlen, die oft kein einziges Wort Deutsch könnten, und nun den ganzen Tag dem Lernstoff in einer fremden Sprache folgen müssten.

Fischer lacht. Und manches werde ihnen in Deutschland vielleicht genauso fremd sein wie es den beiden Dozenten in Island war. So wie die Feen und Trolle, die in Island einen festen Platz im Alltagsleben haben. Fischer und Rößler haben selbst einen großen Felsen gesehen, um den herum die Isländer eine Straße gebaut haben, weil in ihm ein Riese wohne, den es zu beachten gälte.

Alle gewinnen

Auch Fischer und Rößler verstehen sich jetzt besser. Die Reise hat sie zu Kollegen gemacht, die sich jetzt besser kennen und deshalb auch besser zusammenarbeiten. Die spannenden isländischen Geschichten haben sie den anderen Kolleginnen und Kollegen erzählt und sie damit angeregt, sich selbst auf den Weg zu machen. Zudem haben sie sich verpflichtet, ihr erworbenes Wissen in einem Workshop an alle weiterzugeben.

Michaela Hermannsdörfer blickt darüber hinaus aufs Ganze. Sie ist überzeugt, dass nicht nur die Lehrkräfte und in der Folge die Lernenden vom europäischen Austausch profitieren. Auch die gesamte VHS hätte einen großen Mehrwert davon. Die Kursleiterinnen und -leiter schätzten das Angebot und fühlten sich in der Folge stärker an die VHS gebunden - ein wichtiger Faktor bei sonst häufig wechselndem Bildungspersonal. So bliebe auch das Know-how da und ginge nicht verloren.

Wenn dann auch noch in Fachkreisen über die Projekte und ihre Erfolge berichtet werde, gibt es Anfragen von anderen Bildungsträgern - gut für den guten Ruf der VHS Selb.

"Das Verständnis füreinander und das Miteinander warm werden brauchen wir in Europa," sagt Hermannsdörfer engagiert. "Nicht nur für die langfristige Arbeit mit Flüchtlingen und für Migranten, sondern für uns alle."

Unter dm folgenden Link finden Sie weitere Informationen zum Erasmus+ Mobilitätsprojekt

 Zur Projektbeschreibung auf der Plattform Erasmus+ Project Results