Schritt für Schritt zurück in den Alltag - Das Erasmus+-Projekt NEXT STEPS unterstützt Inhaftierte in europäischen Haftanstalten bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft

Text von Manfred Kasper | März 2023

Auch wenn es bereits eine Vielzahl guter Ansätze zur Reintegration von straffällig gewordenen Jugendlichen gibt, ist die Rückfallquote nach wie vor hoch. Diesen Teufelskreis will das Projekt NEXT STEPS durchbrechen und dabei zugleich einen arbeitsmarktrelevanten Beitrag leisten. Die noch bis zum Herbst 2023 laufende Partnerschaft knüpft an das Projekt STEPS an, dessen Ziel es war, über Sportangebote die Fähigkeiten jugendlicher Inhaftierter in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg (JVAHeinsberg) zu stärken.

„Mit NEXT STEPS gehen wir nun einen Schritt weiter“, sagt Peter Dohmen, Projektleiter beim Westdeutschen Handwerkskammertag (WHKT), der Dachorganisation der nordrhein-westfälischen Handwerkskammern. „Ausgehend von den Erfahrungen, die wir im Vorläuferprojekt gemacht haben, wollen wir gemeinsam mit Partnern aus Österreich, Portugal und Italien versuchen, die Wirtschaft stärker einzubinden und den Jugendlichen konkrete Arbeitsmöglichkeiten zu vermitteln. Im Handwerk gibt es den Spruch ,Uns interessiert nicht, wo jemand herkommt, sondern wo jemand hin will.´ Ich denke, dass das auch für ehemalige Inhaftierte zutreffen sollte.“

Eine Aussage, die die Grundidee des Projekts auf den Punkt bringt. Vor dem Hintergrund des Azubi- und Fachkräftemangels im Handwerk geht es den Macherinnen und Machern von NEXT STEPS vor allem darum, die Kompetenzen der jugendlichen Strafgefangenen und deren Bedeutung für ihren beruflichen Werdegang aufzuzeigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei nach wie vor der Sport. So geht das Team des BSV Wassenberg seit sechs Jahren einmal im Monat in die JVA, um dort mit einer Gruppe ausgewählter Inhaftierter den Baseball-Sport zu praktizieren. Trainerin Alexandra Nowack-Dittmer hat festgestellt, dass der komplexe Sport zum einen hohe Anforderungen an das intellektuelle Verständnis der Gefangenen stellt, zum anderen aber als Mannschaftssport auch dazu dient, soziale Kompetenzen einzuüben und weiterzuentwickeln.

Eingang der Justizvollzugsanstalt auf Elba

Foto: Peter Dohmen

Jugendliche Straftäter beim Baseballtraining

Foto: Alexandra Nowack-Dittmer

Blick in eine Gefängniszelle

Foto: Manfred Kasper

Begegnung auf Augenhöhe

Nowack-Dittmer erinnert sich, dass sie anfangs „schon ein mulmiges Gefühl“ hatte, wenn es zum Training in die JVA ging. Bald jedoch habe sie gemerkt, dass sie mit viel Respekt behandelt werde und für die Stunden hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt einfach „die Trainerin“ sei. Ihr ist es wichtig, den Inhaftierten auf Augenhöhe zu begegnen, denn so ließen sich auch eventuell auftretende Konflikte lösen. Die Arbeit mit den jugendlichen Strafgefangenen jedenfalls habe die Bilder in ihrem Kopf verändert. Mittlerweile freue sie sich regelrecht darauf „weil die Jungs einem durch die Art und Weise, wie sie trainieren, sehr viel zurückgeben“.

Solche Sätze hört Leif Herfs gerne. Er ist Sportbeamter in der JVA Heinsberg und sagt: „Was wir hier zuhauf haben, ist Normalität und Eintönigkeit. Mit Angeboten wie dem Baseball-Training können wir dies durchbrechen, deshalb ist die Nachfrage bei den Gefangenen hoch. Wir müssen sogar eine Warteliste führen, weil wir ihr ansonsten gar nicht gerecht werden könnten.“

Als Sportbeamter schlüpft Herfs seit 17 Jahren Tag für Tag in unterschiedliche Rollen – mal ist er Psychologe, mal Sozialarbeiter, mal einfach nur Ratgeber oder „eine Art Freund“ für die Inhaftierten. Das liegt auch daran, dass er keine Uniform trägt und somit ganz anders wahrgenommen wird als andere Vollzugsbeamte. Von Beginn an jedoch ist er auch dafür verantwortlich, die sportlichen Leistungen der Strafgefangenen über sogenannte „Sportnoten“ zu bewerten. Diese erscheinen auf den Zeugnissen der Jugendlichen, die in der JVA Berufsschulunterricht haben, wobei auch Verhaltensaspekte wie Geduld, Durchhaltevermögen, Kommunikationsfähigkeit und ein respektvoller Umgang, aber auch die Team- und Kooperationsfähigkeit direkten Einfluss auf die Notenvergabe haben.

Kompetenzen für den beruflichen Einstieg

Ein Baustein von NEXT STEPS ist – neben dem Aufbau einer Freiwilligendatenbank und der Optimierung von Prozessketten – die Erarbeitung von Beobachtungsbögen, die Leif Herfs bei seiner Arbeit entlasten. Erarbeitet werden diese in Zusammenarbeit mit dem Recruitingunternehmen TALENTBRÜCKE aus Köln, dessen Geschäftsführer Thomas Beck betont: „Die Bögen helfen, um Kompetenzen zu erfassen, die nicht nur für den Sport wichtig sind, sondern auch in der Berufswelt, und zwar in allen Bereichen. So werden die jugendlichen Inhaftierten dafür sensibilisiert, welche Eigenschaften sie brauchen, um den Schritt in die reale Berufswelt zu schaffen.“

Für Peter Dohmen ist das aus Sicht des Handwerks ein enormer Mehrwert des Projekts. Er unterstreicht: „Wir sehen die Kooperation mit der JVA Heinsberg als eine große Chance, Fachkräfte für das Handwerk zu gewinnen, sei es mit einer beruflichen Ausbildung, die von der JVA angeboten wird, oder im Bereich der beruflichen Grundbildung.“ Als Beispiel nennt er einen Dachdeckerbetrieb aus dem Ruhrgebiet, der im WHTK angerufen habe und sich vorstellen könne, jemanden aus der JVA einzustellen. „Wir sind gerade dabei, beide Parteien zusammenzubringen“, so Dohmen. „Wenn der junge Mann demnächst entlassen wird, hat er die Perspektive, in dem Betrieb eine berufliche Ausbildung zum Dachdecker zu absolvieren und dann auch dort zu arbeiten.“

All dies macht NEXT STEPS zu einem Vorzeigeprojekt, sowohl für andere JVAs in Deutschland als auch im europäischen Kontext. Dazu noch einmal Dohmen: „Die Standards, die wir hier in der JVA Heinsberg erarbeiten und erproben, sind auch für unsere Partner auf EU-Ebene sehr interessant. Es ist uns erstmals gelungen, einen Austausch verschiedener europäischer Haftanstalten zu etablieren und neue Netzwerke zu schaffen. Ich glaube, dass wir mit der Kooperation von Justizvollzugsanstalt, Handwerk und Sport auf europäischer Ebene eine besondere Form der Zusammenarbeit gefunden haben, die vielleicht gerade wegen ihrer eher außergewöhnlichen Konstellation viele Potenziale für alle Beteiligten birgt. Diese gilt es in Zukunft gemeinsam umzusetzen.“

Hören Sie auch unseren Podcast zum Projekt NextSteps!

Aufnahme des Podcasts zum Thema Inklusion

Foto: Manfred Kasper

INFORMATIONEN ZU ERASMUS+ UND ZUM THEMA INKLUSION

Das Programm Erasmus+ unterstützt die europäische Zusammenarbeit in der Erwachsenenbildung. Hier können Sie sich über Möglichkeiten der Erasmus+-Partnerschaften informieren: https://www.na-bibb.de/erasmus-erwachsenenbildung/partnerschaften-fuer-eine-zusammenarbeit). Darüber hinaus fördert Erasmus+ auch Auslandsaufenthalte in der Erwachsenenbildung. Mehr dazu unter https://www.na-bibb.de/erasmus-erwachsenenbildung/mobilitaet.

Informationen zum Thema Inklusion in Erasmus+ finden Sie auf unserer Themenseite: Erasmus+: Inklusion (na-bibb.de)